Das Beste lesen mit F+ : Mehr Herz und weniger Spaltung
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Christian Lindner, Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz nach Abschluss der Koalitionsgespräche Bild: dpa
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die künftige Regierungskoalition in Berlin hat sich die Versöhnung von Wohlstand und ökologischem Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben. Herausgeber Gerald Braunberger hat sich nach der Vorlage des Koalitionsvertrags genauer angeschaut, was davon zu halten ist. Zunächst: Schon in der Präambel des Koalitionsvertrags findet sich der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“. Die Ampel will den Staat modernisieren und setzt doch auch auf die Leistungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit einer weiterhin stark durch eine exportorientierte Industrie gekennzeichnete Privatwirtschaft. Aber: Hohe ordnungspolitische Ansprüche dürfe man an die neue Koalition deshalb nicht stellen, findet Braunberger. Anstelle einer klaren Trennung der Aufgaben von Staat und Wirtschaft setzte die Ampel auf ein durch ein gemeinsames Interesse geleitetes gemeinsames Handeln – eine Idee, die mehr das Herz als den Kopf anspreche. Herz über Kopf. Das Lied des Sängers Joris ist ja ganz schön. Mal sehen, was das Konzept in der Politik taugt.
Mehr Kopf wäre in jedem Fall in der Pandemiebekämpfung ein guter Ansatz. Das zeigt unter anderem das Gespräch, das wir mit dem Schweizer Aerosolforscher Michael Riediker über Virusvarianten, die Ansteckungsgefahr in Zügen, lautes Singen und das Emmentaler-Modell geführt haben. Die Delta-Variante erhöhe bei vielen Infizierten die Viruskonzentration in den Atemwegen erheblich und somit auch die Anzahl der in die Luft freigesetzten Viren. Man wisse aus Contact-Tracing-Studien, dass zahlreiche Superemittenten über hundert Personen angesteckt haben. Im englischsprachigen Raum gebe es die Analogie des Schweizer-Käse-Risiko-Modells: „Wir sagen Emmentaler Käse dazu. Jede Scheibe hat Löcher. Und auch jede Maßnahme hat große und kleine Löcher, doch lege ich Scheibe um Scheibe übereinander, dann ist der Käse dicht. Man muss die Maßnahmen also kombinieren, in Innenräumen helfen vor allem Impfen, Lüften, Luftreiniger, Maske. Wo man keine Kontrolle hat über die Leute in den Räumen, sollte man immer eine Maske tragen. Die Maske ist Spuckschutz und Aerosolfänger.“
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JETZT F+ LESENVor diesem Hintergrund stellt sich weiterhin die Frage, ob sie kommt oder nicht, die Impfpflicht. Der Sozialpsychologe Ulrich Wagner hat uns in einem Gespräch jedenfalls schon einmal erklärt, ob die Impfpflicht bislang Unwillige tatsächlich erreichen könnte und was wir aus der Diskussion um die Gurtpflicht lernen können. Wagner sagt auch, dass die Spaltung der Gesellschaft ohnehin lägst da sei: „Noch reden wir von Protesten und Gewalt durch Impfgegner, meine Befürchtung ist: Wenn jetzt Schulen wieder schließen und wir alle zuhause bleiben müssen, dann wird dieser Widerstand auch von den Impfbefürworten kommen. Dann ist der Graben erst richtig tief in der Gesellschaft. Das sollte man nicht abwarten.“ Wie wahr.
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Ihr Carsten Knop
Herausgeber
Frankfurter Allgemeine Zeitung