Malthouse-Kompromiss : Das Brexit-Ei des Kolumbus
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Ein Remainer steht am 4. Februar neben einem weißem deutschen Schäferhund vor dem britischen Unterhaus im Regen. Bild: AP
Mit den Feinden an einem Tisch: Sollten etwa eine Handvoll Abgeordnete nun endlich gefunden haben, was ein ganzes Heer britischer und europäischer Beamter in zwei Jahren vergeblich gesucht hat?
Vor einer Woche fiel zum ersten Mal der Begriff „Malthouse-Kompromiss“, und in einem Land, das in Brexit-Angelegenheiten nicht reich an Übereinkünften ist, erregte er sofort die Gemüter. Inzwischen wird der Vorschlag offiziell verhandelt. Am späten Sonntag kündigte Downing Street an, dass die „Malthouse-Gruppe“ ihren Plan bis Mittwoch mit Brexit-Minister Stephen Barclay ausarbeiten wird. Sie wird nun „Arbeitsgruppe Alternative Vereinbarungen“ genannt – nach den „alternativen Vereinbarungen“ für den irischen „Backstop“, die das Parlament in der vergangenen Woche gefordert hatte. Sollten etwa eine Handvoll Abgeordnete gefunden haben, was ein ganzes Heer britischer und europäischer Beamter in zwei Jahren vergeblich suchte: das Brexit-Ei des Kolumbus?
Die Initiative geht auf den Staatssekretär im Wohnungsbauministerium, Kit Malthouse, zurück, der im Januar etwas Unerhörtes unternahm: Er versammelte Protagonisten der verfeindeten Tory-Flügel an einem Tisch und suchte nach Gemeinsamkeiten, um einen schmerzhaften No-Deal-Brexit abzuwenden. Der Erz-Brexiteer Jacob Rees-Mogg war dabei, Anführer der Euroskeptiker in der Fraktion, und die profilierte EU-Anhängerin Nicky Morgan, vormals Bildungsministerin. Zur allgemeinen Verblüffung einigten sie sich auf ein Vorgehen. Wie das aussieht, wurde nun auf der Tory-Website „ConservativeHome“ in einer „autorisierten“ Fassung erklärt. Danach handelt es sich beim „Malthouse Compromise“ um einen Zwei-Stufen-Plan.
In einem Netz von Vereinbarungen
Zunächst müsse versucht werden, sich mit Brüssel „auf ein Austrittsabkommen zu einigen, das den grundlegenden Schwächen der aktuellen Version begegnet, dem Dauercharakter des irischen ,Backstops‘ und seinen Konsequenzen“. Vorgeschlagen wird ein „neuer ,Backstop‘“, der im Kern aus einem „einfachen Freihandelsvertrag“ bestehen soll. Das künftige Grenzregime soll „nicht auf neue Technologien angewiesen sein und auf den bisherigen Vorschriften fußen“, betonen die Verfasser. Die Gruppe empfiehlt, Großbritannien über den „Backstop“ nicht in eine Zollunion mit der EU zu führen, sondern in ein Netz von Vereinbarungen, das Kontrollen an der irischen Grenze überflüssig macht. Zugleich soll die Übergangsphase um ein Jahr bis Ende 2021 verlängert werden, um mehr Zeit für das Aushandeln der künftigen Beziehungen zu haben.
Sollte sich die EU darauf nicht einlassen, müsse „Plan B“ zum Einsatz kommen. Dieser sieht vor, dass Großbritannien als einfacher „Drittstaat“ ausscheidet, allerdings erst nach einer ebenfalls bis Ende 2021 verlängerten „Phase des Übergangsstillstands“, in der das Land im Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt. Dies soll genug Zeit verschaffen, um Störungen des Handelsverkehrs aus dem Weg zu räumen und sich auf ein Verhältnis nach den Maßgaben der Welthandelsorganisation einzustellen. London würde den EU-Bürgern im Königreich alle bisher vereinbarten Rechte garantieren und bis Ende 2021 jährlich zehn Milliarden Pfund in den EU-Haushalt einzahlen.
Während Rees-Mogg unter den Euroskeptikern Autorität genießt, fühlen sich im Remain-Lager nicht alle von Morgan vertreten; viele wollen lieber ein neues Referendum in der Hoffnung, das Brexit-Votum so umkehren zu können. Das andere Problem der Arbeitsgruppe ist die Haltung der EU. Dort hält man alle Alternativen zum „Backstop“ für ausdiskutiert und interpretiert den Malthouse-Vorstoß als abermalige Werbung für eine technologische Lösung der Grenzsicherung. „Kann Technologie das irische Grenzproblem lösen? Kurze Antwort: nicht in den nächsten Jahren“, schrieb Sabine Weyand am Sonntag auf Twitter, die stellvertretende Brexit-Verhandlungsführerin der EU. „Plan B“ des „Malthouse-Kompromisses“ wurde von Brüssel schon vorher zurückgewiesen: Eine Übergangsphase gebe es nur als Teil des Austrittsabkommens.
In eine andere Richtung zielt Mays Idee, den „Backstop“ nicht überflüssig zu machen, sondern zu entschärfen, indem er befristet oder mit einer britischen Ausstiegsoption verbunden wird. Die Berufung des Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox in die Verhandlungsdelegation zeigt, dass May diesen Weg ernsthaft verfolgt. Aber die Forderung, den Vertragstext zu öffnen, stößt auf Granit in Brüssel, und die Alternative, Änderungen am „Backstop“ in einem rechtsverbindlichen Zusatz zu regeln, droht zu wenige Euroskeptiker zu überzeugen.
Am Montag wurde daher in London spekuliert, dass May in der kommenden Woche im Unterhaus um mehr Zeit zum Nachverhandeln bittet. Das würde den Austrittstermin am 29. März noch näher rücken lassen und den Druck auf die Abgeordneten erhöhen, am Ende doch noch dem ungeliebten Abkommen zuzustimmen, um einen ungeregelten Brexit zu verhindern. Viele glauben allerdings, dass diese Mehrheit nicht zustande kommt und Großbritannien ohne Deal aussteigt.