Brexit : Hello Goodbye
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Damit nähert man sich einer etwas aufregenderen Betrachtung. Sie wurde vor allem von denen artikuliert, die den Brexit am Tag danach feierten, von Nigel Farage, Marine Le Pen, Donald Trump: als Anfang vom Ende der Europäischen Union, den beginnenden Fall der Festung. Britannien, hieß es, habe seine Freiheit wieder, seine Bürger hätten sich ihr Land zurückgeholt, der Geist sei endlich aus der Flasche. Einer der Demonstranten vor Downing Street 10, die schon am Morgen Camerons Rücktritt verlangten, jubelte, nun endlich sei er nicht mehr „versklavt“. Das unterscheidet sich in seiner absurden Zuspitzung, nicht aber dem Inhalt nach von der triumphierenden Ankündigung Boris Johnsons, Großbritannien könne endlich wieder seine eigenen Gesetze machen, seine Steuern frei festsetzen, selbst über seine Grenzen bestimmen. Als sei das Land in auch nur einer dieser Fragen fremdbestimmt gewesen.
Johnson gehört zur Oberschicht seines Landes, er hat eine vorzügliche Ausbildung genossen und war acht Jahre lang Bürgermeister in London, der Stadt mit der weltweit höchsten Milliardärsdichte. Er weiß natürlich, dass es reine Polemik ist, was er da sagt, aber er weiß auch, dass sie in den Ohren jener Briten, die sich für Sklaven Europas halten, geradezu beleghaft nüchtern klingt. Und Johnson seinerseits sucht eine Anschlussbeschäftigung. Prime Minister wäre nicht schlecht. Seit nun zwei Jahrzehnten, dem Ende der Amtszeit John Majors, der von den EU-Gegnern in den eigenen Reihen zerlegt wurde, kann man bei den britischen Konservativen nicht mehr Karriere machen, ohne die Europäische Union als fremde Macht herabzusetzen – das hat schließlich auch Cameron jahrelang getan.
Die EU hat entschlossene, unbeirrbare Gegner
Und das ist der eigentliche Grund für den Brexit. Die Europäische Union hat kein Legitimationsdefizit, sie hat auch kein Demokratiedefizit – sie hat ganz einfach entschlossene, unbeirrbare Gegner. Die haben Verbündete gewonnen, und aus vielen dieser Gegner sind in den vergangenen Jahren Feinde geworden. Aber nicht nur in Großbritannien, sondern auch auf dem Kontinent. Der Nationalismus sieht in der Europäischen Union seinen Hauptfeind, und ganz zu Recht, denn genau diesen Nationalismus will sie überwinden. Deshalb sehen die Nationalisten den Brexit als das Signal dafür, dass die EU endlich sturmreif geschossen ist.
Man kann die Legitimität einer Institution ganz gewiss weder an der Zahl noch an den Maßstäben ihrer Gegner ablesen. Es wird zwar häufig so argumentiert, mitunter ganz arglos; doch bereits diese Deutung ist zutiefst propagandistisch. Die Weimarer Republik ist nicht an ihrer Schwäche gescheitert, sondern an ihren Feinden. Auch die Europäische Union bringt ihre Widersacher nicht selbst hervor. Das ist nur deren Behauptung. Auch die angeblichen demokratischen Defizite der Union sind im Wesentlichen nur darin begründet, dass die Souveränität unverändert bei ihren Mitgliedern, also den Staaten, liegt und dass die Bürger kleinerer Länder begünstigt werden – also für das EU-Parlament nicht das Prinzip „one man, one vote“ gilt. Beide Entscheidungen stehen gegen einen Brüsseler Zentralismus, man kann sie kritisieren, aber ganz sicher sind sie demokratisch begründet. Und der erste Punkt war nun gerade eine Konzession an die Skeptiker. Auch das ist eines ihrer propagandistischen Kampfmittel: die Folgen jener Zugeständnisse zu Lasten der Integration, die sie in den Verhandlungsphasen selbst erwirkt haben, wenig später als Systemfehler zu brandmarken. Wenn die Absicht destruktiv ist, dienen Argumente nur als Waffen.