Dreißig Jahre friedliche Revolution und keiner geht hin
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Auf dem Rückweg vom Stadion hörte man Sprechchöre „Ost-, Ost-, Ost-Deutschland!“: Fans von RB Leipzig beim Unentschieden ihrer Mannschaft im Heimspiel gegen den FC Bayern Mitte September. Bild: dpa
Warum interessieren sich die Ostdeutschen eigentlich so wenig für ihre Befreiung von der Diktatur? Weil sie sich der eigenen Vergangenheit nicht stellen wollen. Ein Gastbeitrag.
Das Gedenken an den politischen Umbruch in der DDR vor dreißig Jahren weist ein erstaunliches Missverhältnis auf. Auf der einen Seite stehen die endlosen Bemühungen um die historische Rekonstruktion der Ereignisse und ihre geschichtspolitische Deutung, die Frage, wofür die Revolution steht, wer ihre entscheidenden Akteure waren und wer sich heute auf sie berufen darf. Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass es trotz beträchtlicher Anstrengungen bislang nicht gelungen ist, ein erinnerungskulturelles Narrativ über die DDR zu etablieren, das für die Mehrheit der Deutschen positiv anschlussfähig wäre. Ja, es ist noch nicht einmal klar, was überhaupt gefeiert wird.
Während sich in den Medien das geschichtspolitische Pathos einer friedlichen Revolution durchgesetzt hat, ist im Alltag der Ostdeutschen nach wie vor von der Wende die Rede, jenem mehrdeutigen Begriff, mit dem Egon Krenz bei seinem Machtantritt am 18. Oktober 1989 das Ruder für die SED noch einmal rumzureißen versuchte. Und während distanziertere Beobachter schlicht von einem Systemwechsel oder einer Implosion des SED-Staates sprechen, nutzen die wenigen ehemaligen Oppositionellen in der DDR die mit dem Jahrestag verbundene Aufmerksamkeit dazu, von ihrer Selbstbefreiung zu schwärmen, und Vertreter der Kirchen fabulieren von einer protestantischen Revolution. Allein die ostdeutsche Bevölkerung scheint diesen Botschaften wenig Glauben zu schenken.
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