Vor Corona : Der erste Kuss
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Ewige Liebe: Der jahrtausendealte Kuss an einer Felswand im Parque Nacional Serra da Capivara zählt zu den Hauptattraktionen des Unesco-Weltkulturerbes. Bild: Norbert Franchini
Nur wenige Touristen interessieren sich für sie – dabei erzählen Tausende Jahre alte Felsmalereien in Brasilien Geschichten von den Anfängen der Menschheit. Im Februar 2019 war unser Autor dort auf Entdeckungstour.
Wie man ein Gürteltier erschlägt? Ganz einfach: Einer hält es an seinem Schwanz fest, der andere schlägt mit einem Knüppel drauf. Das ist heute nicht anders als vor Tausenden Jahren, zumindest im heutigen Brasilien, genauer im Südosten des Bundesstaats Piauí. Hier finden sich steinalte Felszeichnungen, auf denen unverkennbar die Jagd auf Gürteltiere dargestellt ist. Überhaupt lassen sich viele der oft nur mit wenigen Strichen auf die Sand- oder auch brüchigen Schluffsteinwände hingemalten Tiere selbst vom ungeübten Auge bestimmen: Affen haben aufgerollte Schwänze, Geparden runde Pfoten, der Ameisenbär hat eine spitze Schnauze, der Hirsch ein Geweih.
Die dargestellten Tiere leben fast alle auch noch immer irgendwo hier in diesem riesigen Nationalpark, zeigen sich aber nur selten den menschlichen Besuchern. Anders die Felsenmeerschweinchen, die Mocós, auf die man im Parque Nacional Serra da Capivara überall stößt. Im Gegensatz wiederum zu den Capivaras, den Wasserschweinen, die ausgestorben zu sein scheinen, obwohl sie dem Park ihren Namen gegeben haben.
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Die Felsen im Park sind nicht nur eindeutig von Menschen bemalt worden, die Künstler haben auch ihr damaliges Alltagsleben an Hunderten Stellen dokumentiert. Da wird gejagt und getanzt, ganze Familienverbände finden sich zusammen, unter ihnen Kinder, Frauen und Männer, die leicht an ihren auch mal erigierten Penissen zu erkennen sind. Andere Szenen lassen sich nicht so einfach deuten. Haben unsere Vorfahren womöglich Bäume angebetet? Oder stehen sie neben Bäumen und strecken ihre Arme gen Himmel, wo sie Götter vermuteten? Sex jedenfalls hatte der Mensch damals auch schon, und es gab ihn zwischen Mann und Frau, aber auch eindeutig zwischen Mann und Mann. Auch Kinder werden vor den Augen der neugierigen Betrachter geboren. Die schönste Zeichnung des gesamten Parks ist allerdings ein Kuss zwischen zwei geschlechtsneutralen Personen. Es könnte der älteste Kuss der Menschheitsgeschichte sein, auf jeden Fall ist es der älteste, der auf uns gekommen ist.
Eine Sensation
Das Alter der Zeichnungen aber wirft bis heute Fragen auf, die sich nicht so einfach klären lassen. Die Malereien bestehen nämlich aus einem Farbton, der sich zeitlich schwer zuordnen lässt, da in ihm keine organischen Spuren vorhanden sind. Allerdings hat man, wie Mauro Lima, einer der vom Park anerkannten Führer, auf der Besichtigungstour erzählt, eine Zeichnung gefunden, die in einer Erdschicht verborgen lag, die 30.000 Jahre alt ist.
Zudem gibt es andere Zeugnisse, die Menschen hinterlassen haben, etwa Reste von Feuerstellen. Und die Holzkohle ist, wie die Radiokarbonmethode unzweifelhaft ergab, bis zu 60.000 Jahre alt. Tatsächlich fand man Holzkohlereste sogar in noch tieferen und noch einmal 40.000 Jahre älteren Erdschichten. Bezweifelt aber wird von manchen Wissenschaftlern, ob die Feuer menschengemacht waren. Sie könnten ja auch durch einen Blitz ausgelöst worden sein, lautet ihr Gegenargument. Buschbrände aber breiten sich gewöhnlich aus und bleiben nicht an einer einzigen Stelle, wird dem wiederum entgegengesetzt.